Ziehen Sie den Stecker oder living next door to Alice
Ich bin Alice-Kundin. Ich habe inzwischen ein Modem, einen Splitter, einen AB-Wandler, eine kleine weiße Box mit grünem Licht von der ich nicht den Hauch eines Schimmers einer Ahnung habe, wozu sie da ist und jede Menge Leitungen.
Das Ganze befindet sich in meinem Wohnzimmer unter einer alten Schulbank und sieht aus, wie das Autobahnkreuz bei Frankfurt am Main nur eben in Kabel.
Die Musiker von Smokie müssen die ersten Alice-Kunden gewesen sein, denn sie wissen offensichtlich wovon sie singen. Living next door to??â??Â?
In Filmen ist es einfach: da gibt es eine tragische Musik vom Synphonieorchester und jeder weiß, dass die Heldin gleich in Kalamitäten kommt.
Bei mir klingen nur die Glocken der nahe gelegenen Kirche, als ich das Schreiben von Alice aus dem Briefkasten herausziehe, in dem man mir mitteilt, dass es ab dem 22. Wartungsarbeiten am Netz geben wird und es deshalb zu leichten Störungen kommen kann.
Die Firma entschuldigt sich vorab dafür und das tut sie ab dann täglich auch persönlich - nämlich immer dann, wenn ich verzweifelt anrufe.
Es geht so: morgens funktioniert alles, ab Mittags darf ich nur noch mailen und abends ab 18.00 Uhr ist gar nichts mehr zu machen.
Vielleicht ist Alice in der Gewerkschaft.
Living next door to Alice -
Ich kauere vor der Schulbank und starre den ganzen Tag auf mein Modem - nur wenn alle vier Felder grün leuchten, darf ich arbeiten.
Das ist wie mit hohem Termindruck vor einer roten Ampel zu warten.
Manchmal wartet das Modem auch bis ich eine ausführliche Mail verfasst habe und bricht dann kurz vor der Übertragung ab.
Telefonate vom Festnetz werden auch morgens früh nach spätestens drei Minuten von einem rüden Rauschen abgebrochen.
CHRCHRCHRCHRCHR.
Ein Auftraggeber sagt mir ab, weil er nicht glauben will, dass das knurrende Geräusch vom Telefon kommt - er denkt, ich hätte Tollwut.
Livin next doo to
Anrufer auf dem Festnetz hören seit Wochen die Ansage: "Der Teilnehmer ist zur Zeit nicht erreichbar".
Freunde bieten mir diskret Geld an, weil sie glauben, dass ich meine Telefonrechnung nicht bezahlen kann.
Mailen darf ich inzwischen nicht nur zu bestimmten Zeiten sondern auch nur mit bestimmten Personen.
Ich kenne alle Techniker von Alice vom Telefonieren. Das geht zur Zeit natürlich nur mit meinem teuren Prepaid Handy von T-Mobile. Einmal gehe ich sogar in einen Telekomshop um nach einem neuen Splitter zu fragen, da mein Originalgerät von der Telekom stammt.
Mir kommt eine junge Dame entgegengeschlurft. Sie geht so langsam, dass sie Gefahr läuft von Schnecken tot getrampelt zu werden.
Sie betrachtet eine Weile kaugummikauend meinen alten Splitter.
Dann verschwindet sie im Lager um nach nur 10 Minuten schon zurückzukehren.
"Haben wir nicht da."
"Wollen Sie ihn nicht bestellen?"
"Nee, der wird automatisch geliefert."
"Das kann ja nicht sein, weil er sonst da wäre."
Von soviel Logik überrascht gibt sie mich an ihren Kollegen weiter.
Da kommt heraus, dass ich im Festnetz gar keine Telekom-Kundin mehr bin.
Er tippt voll Ingrimm meine Anschlussnummer und die meines Handys in seinen Computer.
Unverrichteter Dinge kehre ich zurück.
Seither funktioniert das Telefon gar nicht mehr und ich zahle wachsende Gebühren für mein Prepaidhandy.
Ein neuer Versuch.
"Herzlich willkommen bei der Alice-Kundenbetreuung, Ihre Wartezeit beträgt mehr als fünf Minuten??â??Â?."
Living next door to
Ich höre förmlich die Einheiten auf meinem Handy rasseln.
Dann geht es wieder los:
Kundennummer
Geheimwort
Schadensmeldung.
Dann der Techniker:
"Wie viele Telefonbuchsen haben Sie in Ihrer Wohnung? "
"Warum haben sie einen ISDN-Anschluß mit Analogen Telefon?"
"Ist der Spliter nichtig installiert?"
"Verwenden sie die Originalkabel?"
"Haben Sie Verlängerungen?"
Ich verneine tapfer und spiele dabei verschämt mit dem Kabelberg unter der Schulbank, unter der ich seit dem 22. regelmäßig kauernd telefoniere.
"Machen sie das Telefon stromlos."
"Ziehen sie den Stecker aus der Wand."
Ich ziehe täglich mehrfach Stecker aus Dosen und Buchsen. In den nächsten Monaten werde ich mich sicherheitshalber von Intensivstationen fernhalten, da ich wahrscheinlich aus reiner Gewohnheit zum Todesengel würde.
"Sie müssen den Splitter neu programmieren. "
Mein Splitter ist eine weiße Box ohne Tastatur.
"Wie geht das?"
"Natürlich mit einem ISDN-Telefon. "
"Ich habe kein ISDN-Telefon. "
"Haben sie keine Freunde, die ihnen eins leihen können?"
"Nein, seitdem ich Alice-Kundin bin, habe ich keine Freunde mehr. "
Der Techniker findet das nicht komisch.
Living next door??â??Â?.
Ich probe den Aufstand
"Ich nutze den Anschluss beruflich müssen sie wissen.."
"Dann brauchen sie ohnehin ein Produkt für Geschäftskunden - das ist teurer aber dann bekommen sie auch besseren Service. "
Ich bin nach drei Wochen infernalischer Unterbrechungen so weit, das ich meine Großmutter verkaufen würde - Gott hab sie selig.
"Gut schicken sie mir doch ein paar Infos ??â??Â?"
"Das darf ich nicht aber ich kann ihnen eine Telefonnummer geben. "
Da habe Ich eine Vision.
Alice kommt ja ursprünglich aus Italien.
Und ich sehe vor meinem geistigen Auge was passieren wird, wenn ich diese Telefonnummer anrufe.
Ich sehe Gangsterbosse in schwarzen Anzügen, die an einem einsamen Baggersee meinem friedlich davon treibenden Leichnam zufrieden hinterher blicken, während die Blondine von den Plakaten sich lasziv auf der Rückbank der schwarzen Limousine räkelt.
Ich bin dann zur Telekom zurückgegangen.
Abgehört werden ist besser als sterben.
Living next door to