Cilencio, meine Damen oder warum Deutschland das Finale erreichte
Der Deutsche Evangelische Frauenbund, Sektion Niedersachsen tagte im Harz zum Thema Griechenland und seine Nachbarn. Dazu war Lebensberatung bestellt worden – für das 30. Tagungsjubiläum als Festbeitrag.
Die Damen waren gereift und politisch interessiert, nur die männliche Minderheit im Organisationskomitee hatte Bedenken wegen des Unterhaltungsprogramms.
„Frau Mierscheid, ich weiß ja nicht – diese Porno-Karaoke am Ende – ob man das den Damen zumuten kann?“ Eine kurze Umfrage am Abendbrottisch wurde eher positiv-neugierig beantwortet. Die Damen waren mehrheitlich der Meinung – man kann! Mehrfache Mütter und Großmütter hatten viele von ihnen schon einen Weltkrieg erlebt – da konnte ein gemalter blanker Busen nicht schockieren.
Die männlichen Hühnerherzen saßen hinten und wrangen die Hände vor Besorgnis.
Die Damen waren dann auch mehrheitlich sehr angetan – nur einige wenige fürchteten um ihr Seelenheil. Die armen Dinger können ja auch nicht zur Beichte gehen. Aber auch angenehme Erinnerungen wurden wach. „Über solche Sachen habe ich schon lange nichts mehr gehört“, meinte eine Dame mit einem tiefen Seufzer des Bedauerns.
Am nächsten Abend dann: Halbfinalspiel „Deutschland : Türkei“. Da waren sich die Herren im Organisations-Kommittee aber diesmal ganz sicher, dass die Konferenz auch abends normal weiterlaufen würde. Die Damen revoltierten – 20.15 war resolut zu Ende getagt und alle versammelten sich in der Bar des Tagungszentrums „Sonnenberg“. Die Herren machten freiwillig die Theke.
Selbstgepflückte Kirschen wurden herumgereicht. Die erste Hälfte verlief enttäuschend, da waren sich die Damen einig. Einig waren sie sich auch, das Jogi Löw ein schöner Mann sei und der Referent aus der Ukraine, der bescheiden an der Theke saß – sozusagen in der Männerkurve einen geradezu idealen Schwiegersohn abgeben würde. Der Referent lächelte bescheiden und etwas ängstlich.
Beim ersten Tor für Deutschland zog meine erhitzte Nachbarin ihr Jäckchen aus. Ich schlug daraufhin vor, dass wir alle pro Tor ein Kleidungsstück ablegen sollten – die Idee wurde freundlich erwogen.
In der Pause wurden Schnittchen gerichtet – viele evangelische Damenhände zeigten, wozu sie im Team fähig sind – die Schnittchenberge hätten einem Turmbaumeister Ehre gemacht – in Präzision und Geschwindigkeit des Aufbaus.
Der Jubiläumskuchen wurde aus steigender Nervosität auch seiner Bestimmung zugeführt.
Zweite Hälfte: Die Anspannung stieg und die Frequenz des Bildausfalls leider auch.
In der Tagung hatte man auch über die Türkei geredet. Nein europäisch seien die nicht - zu fremd und außerdem hatte man Bedenken, seitdem die Türken weiland vor Wien gestanden sind. 2:1 für Deutschland – die Häppchenteller kreisten schneller, die Kirschen waren alle.
Die Kommentare waren nicht immer evangelisch. Die Damen entwickelten eine Lautstärke, die beachtlich war. Der ideale Schwiegersohn schmiegte sich enger an die Theke.
Dann der Ausgleich für die Türkei. Entsetzen machte sich breit - die Türken standen also schon wieder vor Wien! Die Häppchenteller standen vergessen, Hände wurden gefaltet, zierliche Füße in vernünftigen Schuhen bohrten sich in den Boden der Bar des Veranstaltungszentrums.
Es wurden stille Gebete gesprochen – manch eine Griff wohl zum letzten Mittel des Aberglaubens. Zarte Seelen ertrugen die Spannung nicht – graugelockte wohlfrisierte Köpfe lehnten an Schultern der nervenstärkeren Mitstreiterinnen.
Nur noch ganz wenige Minuten - würde die Deutsche Mannschaft eine Verlängerung überstehen? Am liebsten hätte man die restlichen Schnittchen nach Basel geschickt – jetzt gleich, um ihnen Mut und Kraft zu geben.
Dann Philipp Lahm! Das erlösende 3:2!
Der Aufschrei war unbeschreiblich: Die Arme flogen hoch – die Frisuren wurden ohne Rücksicht auf Styling gerauft und manche lagen sich glücklich in den Armen.
Darauf noch ein Schlückchen Wein!
Meine Nachbarin, die mich die ganze Zeit fürsorglich mit Kirschen versorgt hatte, sah mich nachdenklich an.
„Wissen Sie, was ich mich frage?“
„Was denn?“ Ich bin kein Fußballprofi und wusste wirklich nicht, ob Spanien oder Russland die bessern Chancen haben würde, in das Finale gegen Deutschland einzuziehen.
„Ich frage mich, wer Michael Ballacks Friseur ist. Seine Frisur hat die ganze Zeit so perfekt gehalten.“