Alle Räder stehen still, wenn dein Testosteron das will oder süßer die Streikkassen nie klingeln
Während in Frankreich mal so eben ein Generalstreik das ganze Land lahm gelegt hat, nimmt man in Deutschland Rücksicht auf das Weihnachtsgeschäft. Wo es noch vor wenigen Tagen so aussah, als ob die beiden testosterongesteuerten Kontrahenten Schell und Mehdorn sich im Idealfall gegenseitig an die Gurgel gehen würden, ist man sich inzwischen einig, dass man nicht dazu da ist, familäre Konflikte zu verhindern, in dem man zum wichtigsten Fest des Jahres die Bahn lahm legt – soo einfach darf man es den deutschen Familien auch wieder nicht machen.
Ein Bekannter von mir meinte kürzlich, dass man die Gewerkschaften schwächen und schließlich abschaffen müsse, damit Deutschland wirtschaftlich wieder auf die Beine kommt.
Ein anderer Bekannter von mir meinte kürzlich, dass seine gesamte Sympathie den Lokführern gelte, da die nur 1000 Euro monatlich verdienen würden. Dieser Bekannte fährt übrigens Auto, der zuvor erwähnte reist eher per Bahn.
Ich selbst befinde mich in diesem Fall zwischen allen Gleisen, weil die Forderungen der Lokführer nach angemessenerem Lohn im europäischen Vergleich natürlich sehr berechtigt sind. Warum ihnen aber erst jetzt auffällt, dass sie im europäischen Vergleich nicht anführen sondern eher hinterherfahren ist mir etwas schleierhaft.
Die Mähr von den 1000 Euro für alle scheint auch nicht ganz glaubhaft, zumal sich der Lohn ja auch an den persönlichen Umständen bemisst und nicht pauschal festgelegt wird. Aber es klingt natürlich angemessen schlecht. Ich kenne allerdings auch Lokführer, die schöne Häuser gebaut haben – von 1000 Euro war das mit Sicherheit nicht zu bewerkstelligen.
Hartmut Mehdorn hat bei diesem Streit die Arschkarte gezogen, weil sich aller Ärger über sein Haupt ergießt und jeder Streiktag die Bahn wohl soviel kostet, wie wenn sie den Forderungen der Gewerkschaft einfach nachkommen würde. Ums Geld geht es also nicht.
Wer die beiden Streithähne Schell und Mehdorn im Fernsehen gesehen hat, wusste gleich Bescheid. Das war ein Ding unter Männern. Das war High Noon!
Dazu befähigt die Männer das Testosteron – dieses Hormon sorgt für den Tunnelblick, es lässt den Weg zurück nicht zu. Einst war dieses Hormon angetreten, um den Männern die Jagd zu erleichtern, damit sie dem Wild auf den Fersen blieben und nicht nachgaben, bis der Fleischvorrat für die nächsten Wochen gesichert war.
Im Supermarkt braucht man das nicht mehr, deswegen sucht sich das Testosteron andere Wege – einer davon heißt Tarifkonflikt.
Nicht, dass wir Frauen so viel besser wären – auch wir können engstirnig sein bis zum Erbrechen – aber die Dauerhaftigkeit des Konflikts funktioniert bei Frauen meist nicht, weil sie so viele andere Dinge zu tun haben. Deshalb sind wir Frauen Multitasker – Zeit ist ein knappes Gut.
Aber egal – sie rollen wieder, die Züge in Deutschland. Da ich diese Zeilen schrieb saß ich selber im Zug vom Odenwald nach Berlin, deshalb verspätet sich die Dezemberhelene auch etwas. Daran ist die Bahn schuld. Nach ohnehin stressigen Familienfeiern freute ich mich sehr auf die Rückkunft.
Zuerst gab es einen Notarzteinsatz bei Bensheim, dann einen Signalfehler bei Freiberg.
Zuletzt hatte der Zug so viel Verspätung, dass sich ernsthaft die Frage stellte, ob es sich überhaupt noch lohnte, nach Berlin zurückzufahren.
Die Bahn braucht also gar keinen Streik – sie kann die Fahrgäste auch so fertig machen – sie sitzt immer am längeren Hebel.
Schön fand ich die Geschichte, dass sich ein Zug einmal verfahren haben soll – da wird die Mähr von den 1000 Euro schon wieder glaubhaft. „You pay peanuts - you get monkeys.“ Hartmut Mehdorn sollte das eigentlich wissen, Manfred Schell auch.
Jedenfalls wäscht die Bahn was familiäre Konflikte angeht ihre Hände in Unschuld. Alle dürfen zueinander reisen und da ist es einfach ein gutes Gefühl, zu wissen, dass der Zug, der einen nach Hause zur Familie gebracht hat, auch irgendwann wieder wegbringt.
Wenn nicht doch wieder gestreikt wird.