48 Stunden Neukölln - Stille Tage im Klischee
Neukölln ist wie Bielefeld – es existiert nicht.
Während alle vernunftbegabten Menschen davon überzeugt sind, dass es Bielefeld als Ort nicht gibt, die Menschen aber schon, ist es in Neukölln genau umgekehrt.
Es gibt den Bezirk, aber der ist streng genommen nicht bewohnt.
Die Menschen hier kommen aus Rixdorf, Gropiusstadt oder Rudow – aus Neukölln kommt keiner – schon aus Prinzip.
Deswegen ist die Suche nach dem typischen Neuköllner auch so schwierig. Wenn man die Menschen auf der Straße fragt: “Was ist für sie ein typischer Neuköllner?“
Sagt ein Deutscher: „Ein Türke! „
Ein Türke sagt: „Ich gebe keine Interviews. Fragen Sie einen Deutschen!“
„Ich bin kein Neuköllner“ sagt in Passant.
„Wohnen Sie hier?“
„Ja“
„Seit wann wohnen sie hier?“
„Noch nicht lange, So etwa 10 Jahre – aber ich wohne in Rixdorf, nicht in Neukölln.“
Kreuzberg ist da anders. Aus Kreuzberg kommt man schon – gut vielleicht nicht aus dem Wrangelkiez – aber SO 36 und SO 61 – da geht es nur um die Frage ein bisschen schriller oder ein bisschen schicker – aber Hauptsache nicht Friedrichshain.
Diese ungeliebte Ost-West-Vernunftsehe Friedrichshain-Kreuzberg wird jedes Jahr mit einer Gemüseschlacht auf der Oberbaumbrücke auf die Probe gestellt.
Da siegt dann immer der Osten denn es heißt zu Recht: keiner ist gemeiner als der Friedrichshainer.
Aber Neukölln? DAS ist die Bronx, das ist schlimmer als Marzahn – sagen die Marzahner.
Kein Neuköllner wird je nach Marzahn fahren oder umgekehrt. Den Marzahn ist viel schlimmer als Neukölln - sagen die Neuköllner
Und das ist nur der Anfang der Bezirkshierarchie. Schauen wir mal weiter.
Die Zehlendorfer missachten die Wilmersdorfer als alt und schachtelig, beide finden Charlottenburg ordinär - die Charlottenburger schauen verächtlich auf das hysterische Mitte, Mitte auf das schlunzige Kreuzberg, Kreuzberg auf das noch bekifftere Friedrichshain, Friedrichshain verachtet das etablierte Prenzlberg, die Prenzlberger wissen, dass in Pankow nur die Stasi wohnt. Und kein Pankower, der auf sich hält würde je nach Zehlendorf fahren –was will er auch bei den langweiligen Westbonzen?
Aber alle verachten Neukölln – denn hier wird jeder totgeschlagen, der auch nur die Karl-Marx-Straße betritt. Mich hat man da wohl bisher übersehen, wie auch immer die Neuköllner das nun angestellt haben mögen – wahrscheinlich können sie sich keine Brillen leisten und ein Staffordshire-Terriere ist als Blindenhund nicht recht geeignet.
Aber es geht ja noch globaler:
Westberlin schaut verächtlich auf Ostberlin, Brandenburg verächtlich auf ganz Berlin und natürlich umgekehrt, denn was macht die Brandenburger Mutter, die ins Kinderzimmer schaut? Richtig! -Sie schaut nach dem Rechten. Außerdem ist – wenn man Berlinern glauben darf – Brandenburg nicht nur das am dünnsten sondern auch das am dümmsten besiedelte Bundesland Deutschlands.
Baden-Württemberg und Bayern wiederum tun Berlin und Brandenburg so leid, dass sie Transfer-Gelder geben wollen – aber nicht die eigenen – auch klar.
Die Münchener verachten die übrigen Bayern als tumbe Trottel, die den Laptop in der Lederhose tragen statt außen.
In Baden-Württemberg schauen die Badener verächtlich auf die Württemberger, denn über Baden lacht die Sonne, über Schwaben bekanntlich die ganze Welt!
Und es geht noch viel globaler:
Brüssel schaut verächtlich auf Berlin, die USA auf Europa und was Außerirdische über uns denken mögen - jedenfalls vermeiden sie bisher, auf die Erde zu ziehen. Wahrscheinlich ist unser Planet für sie die Bronx.
Aber liebe Außerirdische:
Falls Ihr Euch doch eines Tages auf unserem blauen Planeten ansiedeln möchtet – kommt dahin, wo die Erde am blausten ist und ihr nicht auffallt. Und da bleibt neben New York eben nur Neukölln!