Advent
Es blaut die Nacht, die Sternlein blinken,
Schneeflocken leis’ herniedersinken.
Auf Edeltännleins grünem Wipfel
Häuft sich ein kleiner weißer Zipfel.
Und dort vom Fenster her durchbricht
Den dunklen Tann ein warmes Licht.
Im Forsthaus kniet bei Kerzenschimmer
Die Försterin im Herrenzimmer.
In dieser wunderschönen Nacht
Hat sie den Förster umgebracht.
Er war ihr bei des Heimes Pflege
Seit langer Zeit schon im Wege.
Nun kam sie mit sich überein
Am Niklasabend muss es sein.
Und als das Rehlein ging zur Ruh’,
das Häslein tat die Augen zu,
erlegte sie direkt von vorn
den Gatten über Kimme und Korn.
Vom Knall geweckt rümpft nur der Hase
Zwei-, drei-, viermal die Schnuppernase
Und ruhet weiter süß im Dunkeln,
derweil die Sternlein traulich funkeln.
Und in der guten Stube drinnen
Da läuft des Försters Blut von hinnen.
Nun muss die Försterin sich beeilen,
den Gatten sauber zu zerteilen.
Schnell hat sie ihn bis auf die Knochen
Nach Waidmanns Sitte aufgebrochen.
Voll Sorgfalt legt sie Glied auf Glied
(was der Gemahl bisher vermied),
Behält ein Teil Filet zurück
als festtägliches Bratenstück
und packt zum Schluss, es geht auf vier
die Reste in Geschenkpapier.
Da tönt’s von fern wie Silberschellen
Im Dorfe hört man Hunde bellen.
Wer ist’s, der in so tiefer Nacht
Im Schnee noch seine Runde macht?
Knecht Ruprecht kommt mit goldenem Schlitten
Auf einem Hirsch heran geritten!
„He, gute Frau, habt Ihr noch Sachen,
die armen Menschen Freude machen?“
Des Försters Haus ist tief verschneit,
doch seine Frau steht schon bereit:
„Die sechs Pakete, heil’ger Mann,
s’ist alles, was ich geben kann.“
Die Silberschellen klingen leise,
Knecht Ruprecht macht sich auf die Reise.
Im Försterhaus die Kerze brennt,
ein Sternlein blinkt – es ist Advent.
(Aus: Loriots Heile Welt, Diogenes)