März 2006
ist es nicht erfreulich, dass es in unseren Kalendern den Aschermittwoch gibt? Wenigstens einmal im Jahr dürfen wir uns offiziell von närrischen Zeiten verabschieden – im Alltag als Politikberaterin hat man dazu selten Gelegenheit. Im Rheinland macht der Karneval sicherlich Sinn, ist er doch die Veralberung der preußischen Regimenter, die ernsthaft versucht hatten, rheinischen Frohnaturen Zucht und Ordnung beizubringen. Die Rheinländer hatten sich damit genauso arrangiert wie mit den Franzosen. Deshalb sind die Rheinländer auch mehrheitlich katholisch. Das passt zu ihrem Naturell. Während der Woche fleißig sündigen, Samstag zur Beichte, Sonntag zur Messe und dann weiter so. Da haben protestantisch-grüblerische Selbstzweifel keinen Platz.
Wenn der Karnevalszug in Berlin auch im sechsten Jahr immer noch etwas Befremdliches hat, liegt das sicherlich daran, dass er theoretisch gar nicht geht. Die Funkenmariechen und Gardemännchen sind eine Veralberung auf das preußische Militär. Wenn nun Preußen sich als Garden verkleiden, veralbern sie sich ja eigentlich selber. Den morbiden Touch liefert dann noch der Organisator des Ganzen Harald Grunert, der hoffentlich gesünder ist als er ausschaut. Da der durchschnittliche Berliner zu jeder Party geht, bleibt auch hier der Zulauf nicht aus. Leider aber die Stimmung. Berliner erkennt man daran, dass sie pappnasfrei am Zugrand stehen, keine Miene verziehen und ihren offensichtlich reichlich vorhandenen Nachwuchs dabei zuschauen, wie der sich um jede Kamelle unter die Wagen wirft. Da fragt man sich, wo die bunten Menschen stecken, die sonst das Berliner Straßenbild prägen? Oder die verzweifelt sich einen zurechtschunkelnden Rheinländer werden sich auch in diesem Jahr vorgekommen sein wie Ausgebrochene aus der Irrenanstalt, die zur öffentlichen Freakshow auf den Marktplatz gebracht werden. In der StäV und im Tränenpalast wird jeck gefeiert, wenn man diese Örtlichkeiten verlässt, trifft die Realität wie eine Keule. Ich selbst habe in diesen Tagen meine jugendliche Nachbarin mit telekomfarbenen Haaren in Treppenhaus erwischt, wo sie mir gestand, dass sie den Taxifahrer gefragt hatte, ob er auch schwerpunktmäßig Nachts arbeite, worauf dieser sich interessiert nach ihrer Preisliste erkundigte. So kann es gehen. Ich erklärte meiner jugendlichen Nachbarin, dass ich dem Karnevalswahn nach meinem Umzug nach Berlin gerne Adieu gesagt habe und fühlte mich dabei sehr souverän. Am nächsten Abend ertappte mich die Nachbarin, wie ich im goldenen bodenlangen Mantel, Goldhaarperücke, Loorbeerkranz etc. als üppige Verwandte der Goldelse das Treppenhaus hinunterstolperte. Ein Freund feierte eine Faschingsparty – er ist Schwabe und daher gewohnt Außenseiter zu sein. Ich war übrigens eine der sehr wenigen, die verkleidet war. Nach Mitternacht nahm ich wenigstens die Perücke ab, damit die Kinder aufhörten zu weinen.Wie man souverän Außenseiter ist, kann man von Punks, Schwaben und Gruftis lernen. Wenn mich die kommunikativen Berliner auf dem Weg zur Party fragten, als was ich kostümiert sei, antwortete ich stets: Kostüm, welches Kostüm? Irgendetwas muss man in der Politik ja schließlich gelernt haben, findet Ihre
Helene Mierscheid